Vom 14.2. – 28.3.24 ist das Alpha TinyHaus bei uns zu Besuch im Garten des Stadtteilzentrums. Das Tiny AlphaHaus bringt Lesen und Schreiben an einem urgemütlichen Ort in den öffentlichen Raum. Aber was wird hier passieren? Wer soll angesprochen werden?Was können die Nachbarn und Nachbarinnen hier im Alpha TinyHaus erwarten?
Wir haben mit Claudia Parton, der Initiatorin, gesprochen.
Seit wann gibt es dieses Tiny AlphaHaus?
Das Tiny AlphaHaus gibt es seit etwa drei Jahren, als CoWorking-Space, Bibliothek, Projektraum, Lernraum, Ausstellungsort, Bühne für ein Literaturfestival, Podcaststudio…. Vor allem aber ist das Tiny AlphaHaus ein akzeptierender Ort für Menschen, die nicht gut lesen und schreiben können. Es passiert, dass sich Menschen dafür entscheiden, Schriftsprache aus dem Weg zu gehen. Dafür gibt es meistens gute Gründe und das darf hier so sein. Im Gegenzug habe ich schon viele verblüffende Geschichten geschenkt bekommen.
Warum liegt dir dieses Thema so am Herzen?
Mein eigenes Leben würde ohne Schriftsprache zusammenbrechen. Ich habe aber auch gelernt: Auf die Leben vieler gering literalisierter Erwachsener trifft das nicht zu. Ein großer Teil ist erwerbstätig, viele ziehen Kinder groß und haben einen Freundeskreis. Sicherlich stehen Menschen, die keinen guten Zugang zu Schriftsprache haben, den rasanten gesellschaftlichen Veränderungen besonders verletzlich gegenüber. Aber viele sind offenbar auch resilient und können sich gut anpassen. Ich finde, dass wir viel zu selten fragen, was sie an ihrem Leben mögen und was auch ohne Schriftsprache für sie gut funktioniert. Davon könnten wir viel lernen, glaube ich. Also will ich diese Frage stellen.
Gibt es eine besondere Geschichte, die dir im Tiny AlphaHaus begegnet ist?
Viele, aber eine besonders: Ich habe über das Projekt eine Frau kennengelernt, die kulturell interessiert und sehr engagiert in der Nachbarschaft ist. Sie hat zwei eigene Kinder ins Studium begleitet und selbst viele Jahrzehnte gearbeitet. Irgendwann hat sie mir erzählt, dass sie Legasthenikerin sei. Meistens sei das für sie kein Problem gewesen.
Doch dann bekam sie Stress mit ihrem Rentenbescheid. Ganz vorn stand die Information „Renteneintritt nach Lebensalter“. Das wäre einige Monate später der Fall gewesen. Viel weiter hinten stand die Information „Renteneintritt nach Erwerbstätigenjahren“. Das wäre schon ein halbes Jahr früher gewesen. Sie konnte den Bescheid nicht gut lesen und hatte das übersehen. Als sie da anrief, ist sie gefragt worden, warum sie nicht in eine Beratungsstelle gegangen sei. Gegenfrage: Warum stehen die wichtigen Informationen nicht alle übersichtlich auf der ersten Seite? Die Frau hat sich plötzlich sehr inkompetent gefühlt, was überhaupt nicht zu ihrem langen und erfolgreichen Leben passte. Das hat sie sehr getroffen.
Sie hat dann alles geklärt und ist in Rente gegangen. Zum Abschluss hat sie noch einen Brief an die Rentenversicherung geschrieben, um deutlich zu machen, dass eben nicht jeder einen komplizierten Rentenbescheid versteht. Sie sagte zu mir: „Ich habe hier zum ersten Mal verstanden, wie vielen Menschen es auch so geht.“ Ihr Mann hat den Brief vorab gelesen und gesagt: „Da sind aber viele Fehler drin.“ Sie hat geantwortet: „Genau, und die lasse ich alle drin. Damit die das mal sehen.“
Das feiere ich bis heute. Wir fragen uns ja oft, warum es so schwer ist, Zugang zu gering literalisierten Erwachsenen zu bekommen. Wo wir sie treffen und wie wir sie motivieren können, doch noch Lesen und Schreiben zu lernen. Aber oft signalisieren wir im Alltag eben auch: „Pass bloß auf, dass Du nicht auffällst.“ Genau das tun viele dann eben.
Du wirst in den nächsten Wochen auch hier im Tiny AlphaHaus anzutreffen sein. Was würdest du dir von unseren Nachbarn und Nachbarinnen wünschen?
Ich freue mich auf alles, was mir Menschen über ihr Lesen und Schreiben erzählen. Es gibt ein kleines Tonstudio, da kann man das auch einsprechen. Ansonsten sind alle herzlich eingeladen, zum Schreiben herzukommen. Donnerstags und freitags machen wir CoWorking. Durch die drei großen Fensterscheiben haben wir Seeblick – können selbst aber beim Schreiben auch gesehen werden. Außerdem gibt es die Möglichkeit, mit ChatGPT herumzuspielen. Wir versuchen, der Künstlichen Intelligenz eine schöne Geschichte über den Kiez zu entlocken. Was bleibt am Schreiben unbedingt menschlich, wenn uns die KI das Tippen abnimmt? Ist das überhaupt Schreiben, was ChatGPT da macht? Lasst uns diese Fragen gemeinsam erforschen, mit ganz viel Leichtigkeit und Spiel.
Ach so, und Bücher gibt es auch: Kinderbücher und Literatur in Einfacher Sprache, aber auch Bücher über das Schreiben. Ich hoffe auf die ersten Frühlingsstrahlen, um mit einem Tee oder Kaffee draußen zu lesen.
Liebe Claudia, wir freuen uns sehr auf die Zeit, in der du und das Alpha TinyHaus hier im Stadtteilzentrum Weißensee zu Gast seid und sind sehr gespannt.
Ich danke Euch für die Einladung, freue mich sehr auf den Ort und auf alles, was wir gemeinsam erleben.
Hier findet ihr die Öffnungszeiten und das vorläufige Programm des Tiny AlphaHauses.